initiative ulm digital e.V.
25.10.2023
Macht Künstliche Intelligenz glücklich?
„Gamechanger KI Künstliche Intelligenz unter den aktuellen herausfordernden und komplexen Rahmenbedingungen“. Das war das Thema der Jahresveranstaltung der initiative ulm digital im vollbesetzten Wiley Club, zu der rund 350 Unternehmerpersönlichkeiten aus Ulm, Neu-Ulm und der Umgebung gekommen waren. KI wird das Leben verändern, aber macht sie auch glücklich?
Heribert Fritz, Vorsitzender der Digitalinitiative, betonte bei der Eröffnung der Veranstaltung, dass die Künstliche Intelligenz die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft prägen werde, also alles andere als ein Trend oder ein Phänomen sei.
Das Thema KI werde jeden Lebensbereich betreffen, befand auch die Neu-Ulmer Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger. Daher sei es zwingend, diese Entwicklung aktiv, ohne Bedenken und vor allem ohne „German Angst“ mitzugestalten. Ihre Stadtverwaltung arbeite im Übrigen derzeit mit Künstlicher Intelligenz für ein Hochwasser-Frühmeldesystem nutzen. Die Digitalinitiative lobte sie als wichtiges Netzwerk.
Hauptreferent des Abends war der IT-Unternehmer Chris Boos, der als deutscher KI-Pionier gilt. Unter anderem war er Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung. „KI ist das Ende einer Ära, KI ist das Ende der Industrialisierung“, sagte Boos zum Einstieg. Man habe 150 Jahre benötigt, um etwa 30 Prozent Automatisierung bei der Produktion zu erreichen. Das ändere sich nun grundlegend. USA und China seien bei der KI bereits bedeutend weiter, beide Staaten hätten auch Strategien. Europa nicht. Hier hat jeder eine Strategie. Es ist der Startschuss für alle, die es besser wissen, auch etwas zu sagen“. Aber: „Wir in Deutschland wissen, wie was gemacht wird“. Boos schlussfolgert: „Das ist der einzige Grund, dass wir bei der KI noch mittmischen können“. Der Mensch habe immer Dinge erfunden, „die besser sind als wir“. Nun erledige das die Künstliche Intelligenz, die man „ohne Angst“ nur machen und lernen lassen müsse.
Der Einsatz von KI kann unser Leben und die Arbeitswelt von Grund auf verändern „und Menschen glücklich machen“, so Boos. Man habe seit den 1970er Jahren „nichts Bahnbrechendes mehr erfunden“. Es sei an der Zeit, „dass wir einen Großteil der Arbeit an die KI abgeben“, um sich wichtigeren Tätigkeiten zu widmen. Beispiel Serviceberufe, die „die Leute glücklich machen“ und deswegen künftig auch sehr gut bezahlt werden sollten. KI ermögliche dann – statt Arbeit – mehr Wettbewerb für Kreativität und Innovation. „Es gibt dann wieder Tüftler, Pioniere und Künstler“, so Boos, alles Leute, „die ins Risiko gehen und so glücklicher werden“. Da KI auch hohe Investitionen in der Entwicklung kostet, riet er den Unternehmern im Saal, das Wissen in der Nachbarschaft zu nutzen und eng mit den Universitäten zusammenzuarbeiten und verabschiedete sich mit der beruhigenden Erkenntnis: „KI ist ein Werkzeug, keine Religion“.
„KI verändert die Welt nachhaltig“, sagte Andreas Buchenscheit, Vorstandsmitglied der Digitalinitiative. Der Geschäftsführer von Cortex Media in Ulm verdeutlichte in seinem Vortrag, wozu KI jetzt schon fähig ist und wo sie eingesetzt wird. Die Künstliche Intelligenz spielt bei vielen Apps bereits eine große Rolle, beispielsweise bei Pflanzen- und oder Pilzerkennung. Bislang nicht gekannte Möglichkeiten liefert KI beim Bearbeiten – und auch Fälschen – von Fotos. Auch können Schwarzweiß-Fotos in Farbe umgewandelt werden und aus einem alten Foto ein modernes Bewegbild entstehen. Bei der Spracherkennung oder bei Übersetzungsprogrammen. So können sich Programme Dialekte oder Sprachen aneignen, die dann mit der Stimme einer beliebigen Person sprechen. Bedeutsam sei der Einsatz bereits jetzt im Gesundheitsbereich, wo KI Diagnosen stellen, künftige Krankheitsverläufe erkennen und Behandlungen empfehlen, so Buchenscheit.
Bei der anschließenden Diskussion unter der Leitung von Moderator und SWP-Chefredakteur Ulrich Becker ging es um die Künstliche Intelligenz, aber auch über die Zukunftsaussichten der regionalen Wirtschaft. Professor Dr. Birte Glimm, Leiterin des Instituts für Künstliche Intelligenz an der Uni Ulm, erklärte, dass „die USA und China in Sachen KI ganz anders unterwegs“ seien. Beispielsweise investierten diese Länder seit Jahren gewaltige Summen in die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. Für die Wirtschaft sieht sie einen „Riesenbedarf“ an Fachkräfte, die allerorten fehlen. Um dem entgegenzuwirken, müsse man dringend schon in den Schulen „die Begeisterung für die MINT Berufe wecken“.
Multiunternehmer Horst Walz - er projektiert Windparks und produziert Puzzles - arbeitet mit Hochdruck daran, KI einzusetzen. „Bei 3000 Spielen mit vielen tausend Puzzlestücken sind Automatismen in der Produktion notwendig und KI zwingend“. Sein Unternehmen investiere „hohe Summen“ in eine Automatisierung durch Künstliche Intelligenz.
Die drängendsten Probleme der Wirtschaft sind für Walz die Bürokratie und der Facharbeitermangel. „Es kann nicht sein, dass wir für die Genehmigung eines Windparks 450 Aktenordner zum Landratsamt transportieren müssen“. In anderen Ländern, beispielsweise in Norwegen, würden die notwendigen Unterlagen schon lange Zeit digital übermittelt. Dem Fachkräftemangel will er auch mit dem Einsatz auch von ausländischen Mitarbeitern begegnen. „Deutschland ist seit dem Krieg ein Einwanderungsland. Es ist aber noch nie gelungen, ausländische Kräfte vernünftig zu integrieren“, kritisierte er.
Zuvor von Unternehmern geäußerte Kritik am hohen Strompreis und dessen Schwankungen begegnete SWU-Geschäftsführer Klaus Eder mit der Ankündigung, dass der Preis in Ulm um etwa 25 Prozent ab dem neuen Jahr sinken könnte. Er riet den Unternehmen, auf erneuerbare Energien zu setzen. Derzeit würden Schiffe mit Gas auf dem Meer blockiert, was den Preis in die Höhe treibe. „Sonne und Wind kann man immer kalkulieren. Die Erneuerbaren Energien sind immer da, immer planbar und deshalb die Zukunft“. KI setzten die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm schon vielfach ein, auch beim Servicetelefon. Er wünsche außerdem, dass mit KI Bus- und Straßenbahnkunden beim Ein- und Ausstieg erfasst und dabei die Fahrtstrecke abgerechnet und ein Ticket damit überflüssig wird.
Bei der Situation für die Wirtschaft sieht er allgemein das Problem, dass gute Entscheidungen von der Politik getroffen würden, dann aber „erst die schwierigen Dinge diskutiert und zerredet würden, anstatt die einfachen Dinge schnell zu realisieren“. Das sei eine problematische Entwicklung in der Politik, aber auch der Gesellschaft.
Philipp Utz, Vorstand der UZIN Utz SE, berichtete über den Einsatz der KI in den Entwicklungslaboren des Spezialisten für Kleben und Haften von Böden und Parkett. „Die Rezepturen für unsere Klebstoffe sollen im Unternehmen bleiben“, verdeutlichte er das Problem. Die KI übernehme standardisierte Prozesse „und der Entwickler kann Neues entwickeln“. Für sein energieintensives Unternehmen wünsche er sich „einen wettbewerbsfähigen Energiepreis“.
Stefan Hell, Vorstandssprecher der Volksbank Ulm-Biberach, berichtete über den Einsatz von KI im Geldinstitut. Bei manchen Abläufen sei dies ein Segen, bei der Beratung sei aber nach wie vor das Vertrauen des Kunden in die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter ausschlaggebend. Beim Einsatz neuer Prozesse im Unternehmen Ängste und Abwehrverhalten abzubauen. Beim Thema Wirtschaft überraschte Hell das Publikum. Er sieht – recht drastisch - die deutsche Wirtschaft aktuell nahe am Abgrund.
Großen Bedenken äußerte auch Petra Engstler-Karrasch. Die Hauptgeschäftsführerin der IHK Ulm befürchtet Abwanderungen von hiesigen Unternehmen und Investitionen ins Ausland. Problem Nummer eins sei der Fachkräftemangel gefolgt von den „hohen Lohnkosten und hohen Tarifabschlüssen“. Dabei ist die regionale Wirtschaft stabil. Die IHK-Region Ulm weist mit rund 3 Prozent nach wie vor „die geringste Arbeitslosigkeit aller deutscher IHK-Region auf“, so die Hauptgeschäftsführerin.
Die Stadt Ulm ist sehr aktiv in Sachen Digitalisierung. Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft wie die Klima- oder Mobilitätswende sind ohne den Einsatz modernster digitaler Technologien nicht zu schaffen. Das sagte Oberbürgermeister Gunter Czisch. Mit den Projekten „Smart City“ und Zukunftsstadt arbeite die Stadt am digitalen Wandel und mit Quantencomputing, KI-Exzellenzzentrum und Batterieforschung siedeln sich absolute Zukunftsindustrien in Ulm an. Alle Schulen in Ulm seien bald mit Glasfaser ausgerüstet und an die Lernenden zirka 15 000 Tablets ausgegeben. Diese Anstrengungen der Stadt seien nur mit einer starken Wirtschaft möglich, lobte der OB auch die „hervorragenden Unternehmen“ mit Hinweis auf die Vollbeschäftigung in der Region. „Das Gemeinsame macht uns stark“, sagte er unter Beifall. Ausschlaggebend seien nun die richtigen Entscheidungen. „In den nächsten Jahren wird wichtig, wohin die Wirtschaft heute geht“. Auch er forderte schnellere Genehmigungsverfahren, beispielsweise für Windräder und Solaranlagen. „Das muss Priorität haben“.
Auf die Frage, was KI in fünf Jahren (nicht) kann oder macht, sagten:
Kann alle Sprachprobleme lösen (Dr. Birte Glimm)
Kann die Hydra Bürokratie angehen (Petra Engstler-Karrasch)
Wird niemals die Schwörrede schreiben (OB Gunter Czisch)
Liefert die richtige Prognose für Aktienkurse (Stefan Hell)
Sagt mir die Lottozahlen voraus (Horst Walz)
Mehr KI für die Menschen, damit die Krisenherde in dieser Welt beendet werden (Philipp Utz)
Die KI beantwortet meine E-Mails (Klaus Eder)
Nach Abschluss der Gesprächsrunde zeichnete Heribert Fritz für die „initiative.ulm.digital“ wegweisende IT-Projekte aus. Je 1000 Euro erhielten die Robotik AG des Neu-Ulmer Lessing Gymnasiums, die bei der diesjährigen Robotik-WM gleich zwei WM-Titel holten. Ausgezeichnete wurde auch das Projekt „Daheim Dank Digital“, dessen Entwicklungen alten Menschen helfen sollen, möglichst lang allein und selbständig zu Hause leben zu können.
Einen Preis gab es auch für das Einstein Motorsport Team der THU für die Entwicklung und den Rennbetrieb eines Elektro-Rennboliden.
Zum Ausklang der rund dreistündigen Veranstaltung im Wiley Club nutzten die Besucher bei Speisen und Getränken und – analoger – Jazzmusik des Knudsen-Fessele-Streit Trios mit OB Gunter Czisch als Gast-Schlagzeuger zu guten Gesprächen und zum – auch wichtigen – Netzwerken.